Bolaños García-Escribano, Alejandro (2025). Practices, education and technology in audiovisual translation. Routledge. ISBN 9781032434940.
Book review by Alexander Künzli
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Einleitend
Alejandro Bolaños García-Escribano hat sich in verschiedenen Bereichen der audiovisuellen Translationsforschung (AVT) einen Namen gemacht. Als langjähriger Studiengangsleiter und Dozent mit Schwerpunkt Audiovisuelles Übersetzen am University College London verbindet er darüber hinaus wissenschaftliches Fachwissen mit umfassender Lehrerfahrung. Diese doppelte Expertise prägt das hier zu besprechende Werk. Rasch wird deutlich: Hier ist ein Autor am Werk, der nicht nur die theoretischen und methodischen Grundlagen der AVT beherrscht, sondern auch über ein feines Gespür für die praktischen Anforderungen und Herausforderungen des Lehralltags verfügt.
Die Monografie ist in drei thematisch aufeinander bezogene Hauptteile gegliedert: (1) Praktiken, (2) Ausbildung und (3) Technologien im Bereich der audiovisuellen Translation. Das Kernanliegen des Autors ist es, Schnittstellen zwischen diesen drei Bereichen herauszuarbeiten. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie sich aktuelle technologische Entwicklungen in der AVT-Branche sinnvoll in die Ausbildung audiovisueller ÜbersetzerInnen integrieren lassen. Der Band ist sicherlich für Lehrende – ob erfahren oder am Beginn ihrer Laufbahn stehend – von grossem Nutzen. Die Argumentation von Bolaños García-Escribano ist stets praxisnah fundiert, ohne den theoretischen Anspruch zu vernachlässigen. Damit bietet das Werk auch ForscherInnen wertvolle Anregungen, zumal der Autor zu Recht betont, dass Aspekte der Ausbildung und Didaktik in der AVT-Forschung erst vereinzelt untersucht wurden.
Teil 1: Praktiken der AVT
Der erste Hauptteil des Bandes widmet sich grundlegenden Fragen der AVT-Praxis. Bolaños García-Escribano zeichnet ein treffendes Bild der gegenwärtigen Marktsituation, beschreibt prototypische Arbeitsabläufe und gibt einen kompakten Überblick über die historische Entwicklung der AVT als akademische Disziplin. Besonders informativ sind die von zahlreichen Literaturverweisen gestützten Darstellungen der unterschiedlichen AVT-Formen und ihrer spezifischen Herausforderungen. Wie in früheren Publikationen teilt er die AVT-Formen in zwei Hauptbereiche ein: Revoicing – Neuvertonungen wie Synchronisation, Voice-over oder Audiodeskription – einerseits und Subtitling, zu dem er nicht nur verschiedene Untertypen der Untertitelung, wie intra- und interlinguale Untertitel, sondern auch Übertitel zählt, andererseits. Dieser Überblick liefert nicht zuletzt LeserInnen, die sich mit für sie bislang weniger bekannten Formen der AVT vertraut machen möchten, einen wertvollen Einstieg in die Materie. Die Diskussion zu Qualitätsstandards und zur Bewertung audiovisueller Translate (die in Teil 2 des Werks vertieft wird) erörtert zentrale Herausforderungen nicht nur für die audiovisuelle Translationspraxis, sondern auch die Lehre. Qualität wird auch aus Prozessperspektive betrachtet und das Potenzial automatischer Fehlererkennungstools diskutiert. Die Ausführungen referieren nicht nur bestehende Modelle und Lösungen, sondern bieten auch eine kritische Reflexion ihrer Anwendbarkeit in unterschiedlichen Kontexten.
Teil 2: Ausbildung audiovisueller TranslatorInnen
Der zweite Teil des Werks fokussiert auf didaktisch-methodische Fragen. Ausgehend von der Diskussion allgemeiner hochschuldidaktischer Konzepte und Ansätze – etwa konstruktivistischer Lernmodelle oder kompetenzorientierter Curriculumsentwicklung – überträgt Bolaños García-Escribano diese auf den Bereich der Translationsdidaktik. Es folgen differenzierte Überlegungen zum Kompetenzerwerb in der AVT – einem weiteren Bereich, in dem der Autor Forschungslücken ortet – einschliesslich Betrachtungen zur Rolle von Projektarbeit, simulationsbasiertem Lernen und Fernunterricht. Wenn auch technologische Entwicklungen in dem Band eine Schlüsselrolle spielen, versteht der Autor den Lernprozess als komplexes Zusammenspiel von Sprach-, Kultur-, Medien-, Dienstleistungs- und Technikkompetenzen. Dadurch wird die AVT als komplexe Expertentätigkeit konzipiert, deren Grundlagen idealiter an der Universität zu legen sind. Besonders hervorgehoben seien an dieser Stelle die Darstellungen – teils in Tabellenform – möglicher Bewertungskriterien für verschiedene Formen audiovisueller Translate (S. 102-104) und der Gewichtung nicht nur verschiedener Fehlertypen, sondern auch kreativer Lösungen (S. 111-115). Auch erfahrene Dozierende finden hier Anregungen für die (Weiter-)Entwicklung eigener Bewertungsraster. Fragen zu Lernplattformen – darunter speziell für die AVT-Lehre entwickelte Systeme wie TRADILEX –, Herausforderungen bei der Curriculumsentwicklung (etwa die didaktische Nutzbarmachung authentischer audiovisueller Inhalte) sowie Überlegungen zum Anforderungsprofil von Lehrenden runden diesen Teil ab.
Teil 3: AVT-Technologien
Der dritte Hauptteil der Monografie widmet sich den technologischen Entwicklungen im Bereich der audiovisuellen Translation und deren Implikationen für Lehre und Praxis. Im Zentrum steht die Analyse cloudbasierter Arbeitsabläufe, die mittlerweile in vielen professionellen Kontexten Standard sind, aber – zumindest zum Zeitpunkt der Entstehung des hier besprochenen Werks – noch wenig Verbreitung in der universitären Lehre gefunden haben. Bolaños García-Escribano behandelt die mit Cloudlösungen verbundenen sensiblen Fragen wie Sicherheitsaspekte ebenso wie die Gestaltung moderner AVT-Arbeitsplätze. Er beschreibt anschaulich verschiedene (teil-)automatisierte Verfahren, darunter automatische Spracherkennung und maschinelle Übersetzung, und gibt einen fundierten Einblick in die Anwendung gängiger AVT-Software (z. B. OOONA für die Untertitelung, ZOOdubs für die Synchronisation oder Stellar für die Audiodeskription). Für Lehrende besonders relevant sind die tabellarischen Übersichten zu Softwarelösungen im Bereich Revoicing und Subtitling, in denen der Autor auch zwischen kostenpflichtigen und kostenfreien Angeboten unterscheidet (S. 165-170). Hochaktuell sind die Ausführungen zu generativer KI und Large Language Models (LLM): Der Autor wägt anhand konkreter Beispiele Chancen und Risiken ab und formuliert Überlegungen zu einer sinnvollen Integration in den Lehrbetrieb. Er plädiert dabei für einen kritisch-konstruktiven Umgang, der die menschliche Übersetzungskompetenz nicht marginalisiert, sondern durch gezielten Technikeinsatz und die Erweiterung bisheriger Tätigkeitsfelder – Stichwort Post-Editing – ergänzt.
Fazit
Obwohl die drei Themenbereiche Praxis, Ausbildung und Technologie inhaltlich Überschneidungen aufweisen, sind die Ausführungen dank gezielter Querverweise und einem durchdachten Kapitelgefüge nie redundant. Das Ergebnis ist ein facettenreiches Gesamtbild, das unterschiedliche Perspektiven produktiv miteinander verknüpft. Der klare sprachliche Duktus sowie die argumentative Stringenz tragen dazu bei, dass auch komplexe Sachverhalte für Laien zugänglich bleiben. Von der Lektüre profitieren werden insbesondere Lehrende im Bereich der AVT. Erfahrene Dozierende beispielsweise werden sicherlich neue Anregungen für die didaktische Gestaltung von Kursen erhalten, die sich flexibel an unterschiedliche Lehrkontexte und an die finanzielle Ausstattung der jeweiligen Ausbildungsstätte anpassen lassen. Studierende wiederum erhalten nicht nur einen hilfreichen Einblick in den modernen audiovisuellen Übersetzerarbeitsplatz, sondern auch hilfreiche Hinweise auf weiterführende Literatur. Diese lassen sich beispielsweise für Qualifikationsarbeiten nutzen, in denen ein kommentiertes audiovisuelles Translat gefordert ist. Erwähnt werden soll zudem, dass das Werk nicht nur einen ausgezeichneten Überblick über die aktuelle Fachliteratur bietet, sondern neben englischsprachigen Publikationen auch einschlägige Arbeiten in anderen Sprachen berücksichtigt – ein Aspekt, der selbst in der Translationswissenschaft nicht mehr selbstverständlich ist, für die Lehre jedoch besonders wertvoll ist.
Practices, Education and Technology in Audiovisual Translation schlägt eine überzeugende Brücke zwischen Theorie und Praxis, zwischen wissenschaftlicher Reflexion und konkreter Anwendung. Bolaños García-Escribano gelingt es, die Komplexität dieser zentralen Aspekte der AVT in ihrer Breite zu erfassen, ohne sich in Detailfragen zu verlieren. Wer sich mit audiovisueller Translation beschäftigt – in Forschung, Lehre oder Praxis – findet in diesem Buch nicht nur eine umfassende Informationsquelle, sondern auch zahlreiche Impulse für die eigene Arbeit.
Daher mein – auf Untertitellänge komprimiertes – Schlussfazit: Lesen!