Zwischenberger, Cornelia. (2013). Qualität und Rollenbilder beim simultanen Dolmetschen. (Transkulturalität – Translation – Transfer 1). Berlin: Frank & Timme
Book review by Barbara Ahrens
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„Das multidimensionale, soziale Konstrukt der Qualität“ (S. 357) 1 steht im Mittelpunkt des Werks von Cornelia Zwischenberger, das im Jahr 2011 von der Universität Wien als Dissertation angenommen wurde (vgl. QuaSI, 2013) 2 . Die im hier rezensierten Band vorgestellten Überlegungen zum Zusammenhang der Begriffe „Qualität“, „Rolle“ und „Normen“ sowie die zur Eruierung konkreter Qualitäts- und Rollenkonzepte von Konferenzdolmetschern 3 durchgeführten Studien entstanden im Rahmen des an der Universität Wien angesiedelten Forschungsprojekts „Qualität beim Simultandolmetschen (QuaSI)“ (vgl. QuaSI, 2013), in dem die Verfasserin zusammen mit drei anderen Doktorandinnen unter der Projektleitung von Franz Pöchhacker tätig war. Wie gewinnbringend die Zusammenarbeit in einem Forscherteam ist, wird auch im vorliegenden Band ersichtlich, in dem mehr als einmal auf die fachlichen Diskussionen, z. B. methodischer Fragen, im Team hingewiesen wird (vgl. z. B. S. 154ff.).
Das Buch greift ein in der Dolmetschwissenschaft erst seit kurzem präsentes Thema auf, nämlich die soziokulturelle Dimension des simultanen Konferenzdolmetschens (vgl. S. 13). Die Verfasserin erhebt dabei den Anspruch, „eine Vorbotin einer soziokulturellen Wende in der Konferenzdolmetschforschung“ (S. 13) zu sein. Innovativ ist an ihrem Ansatz, dass sie bisherige Forschungsergebnisse zur Dolmetschqualität zu rollentheoretischen Erkenntnissen und sozialen Normen in Beziehung setzt. Empirisch untermauert werden die theoretischen Überlegungen durch die Ergebnisse aus zwei web-basierten Umfragen unter AIIC- und VKD-Mitgliedern 4 mit integriertem Web-Experiment, bei dem eine konkrete, jedoch in Bezug auf ihre Intonation und Flüssigkeit manipulierte Dolmetschleistung von den befragten Populationen bewertet werden sollte. In Bezug auf die im empirischen Teil angewandten Methoden bietet der Band damit eine gute Mischung aus Befragung und Experiment mit apparativer Manipulation, sodass aus Sicht der Dolmetschforschung und ihres Methodeninstrumentariums die Vorgehensweise als state-of-the-art angesehen werden kann.
Sehr überzeugend ist die theoretische Fundierung des Qualitätsbegriffs beim Dolmetschen durch den „soziale[n] Konstruktionismus“ (S. 17), die es erlaubt, Qualität als holistisches Konstrukt verschiedener sozialer Systeme zu definieren. Wohltuend für den Leser ist dabei, dass durch die Zuordnung zu verschiedenen sozialen Konstrukten die Heterogenität der Perspektiven der bisherigen Untersuchungen zur Dolmetschqualität und deren Stärken und Schwächen deutlich herausgearbeitet werden, ohne dass dabei jede einzelne Studie – wie schon häufig in der einschlägigen Fachliteratur geschehen – erneut in allen Einzelheiten vorgestellt werden muss. Diese neue Sichtweise ist sehr interessant und gehört zu den Stärken des hier rezensierten Bandes.
Eine weitere Stärke ist der im dritten Kapitel erfolgreich unternommene Versuch, die in der Dolmetschwissenschaft in der Regel bestehende Lücke hinsichtlich einer theoretischen Fundierung der (Konferenz-)Dolmetscherrolle mittels rollentheoretischer Überlegungen aus Soziologie, (Sozial-)Psychologie und Kulturanthropologie zu schließen (vgl. S. 54ff.). Rolle als Funktion und Interaktion wird dabei in einem Gefüge aus Positionen, Erwartungen, Normen und damit verbundenen Konzepten angesiedelt, das dann sehr überzeugend auf das Konferenzdolmetschen übertragen wird. (Soziale) Normen als inhärenter Bestandteil einer Rolle werden anschließend im vierten Kapitel genauer anhand bestehender Normen für das Konferenzdolmetschen beleuchtet und in Relation zur Qualität gesetzt, da sie als „Bindeglied zwischen den beiden Themenkomplexen der Qualität und Rolle/n aufgefasst“ (S. 113) werden.
Kapitel 5 bietet einen sehr klaren Überblick über Web-Befragungen als Methode zur wissenschaftlichen Datenerhebung. Da diese Art der Umfrage zunehmend auch in der Dolmetschwissenschaft eingesetzt wird (vgl. in jüngster Zeit z. B. Opdenhoff, 2011), bietet dieser Teil einen wertvollen Beitrag zur methodologischen Konsolidierung des dolmetschwissenschaftlichen empirischen Instrumentariums. Forschern, die mit web-basierten Fragebögen arbeiten möchten, sei dieses Kapitel als Einführung besonders ans Herz gelegt.
Kapitel 6 beschreibt dann die Umsetzung der Erkenntnisse aus Kapitel 5 in einem konkreten Fragebogen sowie die Auswahl der beiden befragten Populationen. Die Vorgehensweise zeugt von großer Umsicht und Sorgfalt. Warum allerdings die beiden befragten Populationen der AIIC- und VKD-Mitglieder unterschiedlich behandelt werden, erschließt sich dem Leser nicht. So werden die VKD-Mitglieder z. B. nicht nach der Dauer ihrer Verbandsmitgliedschaft gefragt, da der VKD in seiner aktuellen Form erst seit 2003 besteht (vgl. S. 151). Er ging damals aus der seit 1993 bestehenden „Berufsgruppe Konferenzdolmetscher“ des BDÜ hervor (vgl. Ende, 2006, S. 84), sodass Mitglieder der ersten Stunde zum Zeitpunkt ihrer Befragung im Jahre 2009 durchaus über eine bis zu 16-jährige Mitgliedschaft verfügten, die in ihrer Dauer der der befragten AIIC-Mitglieder, die ihrem Berufsverband zum Zeitpunkt der Befragung bis zu 9 Jahren (40,5 Prozent) bzw. 10-19 Jahre (26,6 Prozent) angehörten, vergleichbar gewesen wäre (vgl. S. 176).
Beeindruckend ist die in den Kapiteln 7 bis 9 dokumentierte statistische Auswertung der mittels web-basierter Befragung gewonnenen empirischen Daten. Hier stellt die Verfasserin unter Beweis, dass sie die Antworten der 704 AIIC- sowie der 107 VKD-Mitglieder präzise verarbeitet hat, ohne bei den zur Feststellung statistischer Signifikanzen erforderlichen zahlreichen Korrelierungen mit soziodemographischen Kriterien und den verschiedenen statistischen Verfahren (T-Test, ANOVA, Chi-Quadrat-Test, Bartlett-Test, Kruskal-Wallis-Test, Scheffé-Test, KMO-Maß u. v. a. m., für die sich der statistisch weniger bewanderte Leser teilweise eine kurze Erläuterung wünschen würde – zumindest um zu verstehen, warum wann welches Verfahren Anwendung findet) den Überblick zu verlieren. Trotz der Fülle der Daten sind jedoch manche Ergebnisse nicht besonders überraschend, so z. B., dass Frauen mehr Wert auf prosodische Elemente legen (vgl. S. 241) 5 oder dass Sprecher bestimmter A- oder B-Sprachen mehr oder weniger streng bewerten (vgl. z. B. S. 250 bzw. S. 252). Ein wichtiger Hinweis für die Bewertungspraxis von Dolmetschleistungen ist die im Web-Experiment immer wieder von Teilnehmern geäußerte Kritik, dass bei der Bewertung der zugehörige Ausgangstext nicht hörbar bzw. zugänglich war (vgl. S. 237 und S. 254). Dadurch bestätigen die Dolmetschpraktiker die in der Ausbildung und in Tests längst vorherrschende Meinung, dass eine Verdolmetschung immer in Relation zum zugehörigen Original und zur jeweiligen Kommunikationssituation bewertet werden sollte (vgl. Kalina, 1998, S. 273).
Die Diskussion der Ergebnisse in Kapitel 10 kondensiert diese Daten auf die Bereiche „Verbandstyp“, „Qualitätsnormen“ und „Rollen“. Der Leser erhält so eine sehr klar strukturierte Zusammenfassung, in der deutlich wird, dass unter sämtlichen in den beiden Umfragen abgefragten soziodemographischen Kriterien signifikante Unterschiede in den Antworten der befragten Populationen durch das Geschlecht, die Berufserfahrung und das Alter bedingt werden (vgl. S. 365ff.). Auch unterschiedliche situative Kontexte beeinflussen die Priorisierung insbesondere von form- und darbietungsbezogenen Qualitätsnormen (vgl. S. 362ff.), wohingegen Inhalt und Flüssigkeit der Verdolmetschung kontextunabhängige Parameter darstellen, die von sämtlichen Befragten immer als vorrangig eingestuft wurden (vgl. S. 359).
Die Schlussfolgerungen für Dolmetschwissenschaft, Ausbildung und Berufspraxis zeigen Desiderate für weitere Forschung im Bereich Dolmetschqualität sowie für eine Integration soziologischer Modelle in die Ausbildung auf. Für den berufspraktischen Diskurs formuliert die Verfasserin abschließend den Wunsch, „dass das Simultandolmetschen nicht nur [als] eine komplexe kognitive [sic!] sondern auch [als] eine soziokulturelle Aktivität“ (S. 386) anerkannt werden möge.
Die Bibliographie umfasst 19 Seiten und bietet eine sehr schöne und aktuelle Auswahl themenrelevanter und einschlägiger Werke. Besonders wertvoll sind dabei die soziologischen Quellen, die eine gute Ausgangsbasis für die weitere Beschäftigung mit soziokulturellen Aspekten des Konferenzdolmetschens bieten.
Die durch Austriazismen (Dolmetschung, rezente Studien etc.) geprägten Ausführungen lesen sich flüssig und sind klar verständlich. Leider müssen jedoch einige wenige formale Schwächen des Bandes bemängelt werden. So ist z. B. nicht nachzuvollziehen, warum im Inhaltsverzeichnis nur Kapitel erster bis dritter Ordnung, nicht aber Kapitel vierter, fünfter oder sechster Ordnung aufgeführt werden. Auch wenn es sich eventuell um eine Vorgabe des Verlags handelt, muss der Leser, der einem der häufigen Querverweise im Text auf ein solches Unterkapitel folgen möchte, dennoch das jeweilige Kapitel in dem mehr als 400-seitigen Band umständlich suchen. Dadurch fällt auch die unnötige Kapiteleinteilung in ein erstes Unterkapitel, ohne dass ein zweites derselben Hierarchisierung folgt, weniger schnell auf (vgl. Kapitel 4.2.1.1). Bedauerlich ist zudem, dass die Ausführungen auf S. 199 im Anschluss an Tabelle 19 bis S. 206 nochmals wortwörtlich auf den Seiten 206 bis 213 wiederholt werden. Eine weitere Doppelung der Ausführungen findet sich auf den Seiten 287 bis 289 bzw. 289 bis 292. In der Bibliographie sind darüber hinaus nicht alle Einträge einheitlich formatiert (z. B. Buchtitel z. T. kursiv, z. T. nicht, unterschiedliche Verfahrensweise bei der Namensangabe ein und desselben Verlages). Derartige formale Schwächen wären durch ein entsprechendes Lektorat sehr leicht vermeidbar gewesen.
Zusammenfassend bietet das Buch von Cornelia Zwischenberger sehr viele neue und vor allem interessante Erkenntnisse, da es sich dem Phänomen Konferenzdolmetschen aus einem bis dato nur sehr selten eingenommenen Blickwinkel nähert. Die formalen Schwächen sind bedauerlich, beeinträchtigen die wissenschaftliche Leistung der Verfasserin jedoch höchstens minimal. Auch wenn das Datenmaterial aus den Jahren 2008 und 2009 stammt (vgl. S. 145) und somit zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches im Jahr 2013 bereits vier bis fünf Jahre alt ist und obwohl nicht alle Auswertungen überraschende Ergebnisse zeitigen, ist der methodisch sehr sauber durchgeführte empirische Teil dennoch aus statistischer Sicht und insbesondere auch wegen der in der Diskussion der Ergebnisse immer wieder zitierten, frei formulierten Antworten der Befragten sehr informativ. Der von der Autorin angestrebte Beitrag zur soziokulturellen Neuorientierung der Dolmetschwissenschaft ist ihr gelungen. Selbige erfährt durch dieses Buch einen perspektivisch sehr interessanten und innovativen Impuls, der allen interessierten Dolmetschwissenschaftlern, -dozenten und praktizierenden Konferenzdolmetschern dringend als bereichernde, aber auch durchaus kurzweilige Lektüre empfohlen werden kann.
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1. Zitate sowie Verweise aus dem rezensierten Band werden in Klammern angegeben, ohne jedes Mal den Namen der Verfasserin zu nennen. Alle anderen Quellenangaben erfolgen im üblichen Verfahren; sämtliche zusätzlich zum rezensierten Band verwendeten Quellen finden sich im Literaturverzeichnis am Ende des vorliegenden Artikels.
2. Im Impressum des Rezensionsexemplars, das aus der ersten Teilauslieferung der ersten Auflage des hier besprochenen Bandes stammt, steht allerdings fälschlicherweise, dass das Typoskript „im Jahr 2011 als Dissertation an der Universität Graz eingereicht und vom Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft angenommen“ (S. 4) wurde. Aufgrund eines entsprechenden Hinweises der Rezensentin an den Verlag Ende August 2013 soll diese Angabe in den weiteren, noch auszuliefernden Exemplaren korrigiert werden.
3. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und besseren Lesbarkeit werden sämtliche Personenbezeichnungen im vorliegenden Artikel in inkludierender Form verwendet.
4. Die Association Internationale des Interprètes de Conférence (AIIC) ist der internationale Konferenzdolmetscherverband, der Verband der Konferenzdolmetscher (VKD) ist der deutsche Berufsverband.
5. Ein Charakteristikum der Sprechweise von Frauen ist u. a., dass sie Intonation variationsreicher einsetzen als Männer (vgl. Huber, 1989, S. 478), sodass auch bei der Bewertung prosodischer Elemente diese Präferenz von Frauen logisch erscheint.
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Literatur
Ende, A.-K. D. (2006). Dolmetschen im Kommunikationsmarkt. Berlin: Frank and Timme.
Huber, D. (1989). Voice characteristics of female speech and their representation in computer speech synthesis and recognition. In J.-P. Tubach, and J. J. Mariani (Hg.), Eurospeech 89. European conference on speech communication and technology, Paris, September 1989 (vol. 2, S. 477-480). Edinburgh: CEP Consultants.
Kalina, S. (1998). Strategische Prozesse beim Dolmetschen. Theoretische Grundlagen, empirische Fallstudien, didaktische Konsequenzen. Tübingen: Gunter Narr.
Opdenhoff, J.-H. (2011). Estudio sobre la direccionalidad en interpretación de conferencias: de las teorías a la práctica profesional. Dissertation, Universität Granada.
QuaSI – Qualität beim Simultandolmetschen (2013). Abgerufen am 9. August 2013 von http://quasi.univie.ac.at
October 28, 201325 - 2013