25 - 2013

Bouchehri, Regina. (2012). Translation von Medien-Titeln. Der interkulturelle Transfer von Titeln in Literatur, Theater, Film und Bildender Kunst. Berlin: Frank & Timme

Compte rendu par Klaus Kaindl

Die vorliegende Arbeit widmet sich einem in der Übersetzungswissenschaft eher stiefmütterlich behandelten Bereich, nämlich der Übersetzung von Titeln. Bereits in ihrer im gleichen Verlag publizierten Diplomarbeit (Bouchehri, 2008) beschäftigte sich die Autorin mit dieser Problematik – mit Fokus auf das Medium Film. Dieses Untersuchungsinteresse weitet sie nun in den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch auf weitere Bereiche aus: Literatur, Darstellende Kunst, Musik und Bildende Kunst. Die dabei gewählte Bezeichnung „Medien-Titel“ mag etwas irreführend erscheinen, zumal der Medienbegriff nicht thematisiert wird und es – abgesehen vom Medium Film – eher um Bereiche, denn um Medien geht.

Das in der Einleitung präsentierte Forschungsprogramm liest sich sehr ehrgeizig, umfasst es doch nicht nur die empirische Erforschung der Übersetzungsstrategien, sondern auch die Offenlegung der zugrunde liegenden Konventionen, die Darstellung der Verantwortlichkeiten bei der Titelwahl bzw. -übersetzung sowie die Erfassung der gesellschaftlichen Reaktionen auf die übersetzten Titel.

Zunächst erfolgt eine definitorische Erfassung des Titels, wobei einerseits seine funktionale Dimension als Mittel zur Identifizierung- bzw. Benennung des Namensträgers herausgearbeitet wird; andererseits wird auf die als formales Kriterium bezeichnete Texthaftigkeit des Titels eingegangen, wobei Textualität immer auch Pragmatik und Funktionalität mit einschließt und somit eigentlich nicht auf Form reduziert werden kann. Danach wird das Untersuchungsprogramm vorgestellt. Neben der Identifizierung von Transferstrategien geht es vor allem auch um das Offenlegen medienspezifischer Merkmale bei der Titelübersetzung. Dazu werden Titel kontrastiv im Hinblick auf ihre jeweiligen medialen und kulturellen Konventionen hin untersucht, wobei der Fokus auf sprachlichen (Titellänge, -gliederung und -syntax) und funktionalen Merkmalen liegt. Ziel ist es, vor dem Hintergrund der jeweiligen Medienspezifik „translationsdeterminierende Faktoren“ (S. 38) herauszuarbeiten. Das Korpus wird je nach Bereich aus unterschiedlichen Quellen und, wie die Autorin betont, „nach zufälligen Kriterien“ (S. 42) zusammengestellt, als Quellen dienen je nach Bereich Literaturlexika, Verlagsprospekte, Anthologien, Schauspiel- und Musikführer, Museums- und Ausstellungskataloge, wobei die Untersuchungszeiträume vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart reichen, die „Perspektive aber ist vorwiegend synchron“ (S. 41). Zusätzlich erfolgt noch eine Befragung von Personen, die für Titelübersetzungen verantwortlich sind und aus der im Laufe der Analyse immer wieder zitiert wird, ohne allerdings eine systematische Auswertung vorzunehmen.

Im empirischen Teil werden zunächst einzelsprachlich für die jeweiligen Bereiche die strukturellen und funktionalen Eigenschaften von Titeln identifiziert und statistisch ausgewertet. Ausgehend von der Translationstypologie von Prunč werden dann fünf Strategien der Übersetzung festgelegt (Titelidentität, -analogie, -variation, -innovation und Hybridformen). Auf dieser Basis werden für die verschiedenen Bereiche, Titelformen und Übersetzungsrichtungen in Form statistischer Auswertungen die jeweiligen Übersetzungs- strategien untersucht und die translationsdeterminierenden Faktoren jeweils in Gegenüberstellung zwischen zwei Bereichen herausgearbeitet. So werden z.B. Trivial- und Höhenkammliteratur einander gegenüber gestellt, ebenso wie Lyrik und Roman, Schauspiel und Oper etc. In einer Gesamtschau werden die kultur- und medienkontrastiven Ergebnisse abschließend zusammengefasst.

Zu den Stärken der Studie zählt zweifelsohne die akribische statistische Auswertung und die Fähigkeit der Autorin, in dem äußerst komplexen und multirelationalen Untersuchungs-design niemals den Überblick zu verlieren und die Analyse leserfreundlich aufzubereiten. Auch die differenzierte und umsichtige Analyse der strukturellen und funktionalen Eigenschaften von Titeln ist auf der Habenseite zu verbuchen. Allerdings wirft das vorliegende Buch auch einige konzeptuelle, vor allem jedoch methodische und theoretische Fragen auf. Neben dem Medienbegriff, der nirgends definiert wird, betrifft dies vor allem die Unterscheidung in Höhenkammliteratur und Trivialliteratur, die bei Romanen – nicht jedoch bei den anderen Formen getroffen wird. Was unterscheidet konkret Höhenkamm- von Trivialliteratur? Wer bestimmt, was zu welcher Kategorie gehört? Sind die jeweiligen Zuordnungen nicht vor allem gesellschaftlich bedingt und damit historisch wandelbar? Warum wird diese Unterscheidung nicht beim Schauspiel, beim Film oder auch zwischen Oper und Musical bzw. Operette getroffen? Zwar wird beiläufig die „nicht unproblematische Unterscheidung“ (S. 166) erwähnt, Antworten auf die gestellten Fragen finden sich allerdings nirgends.

Das eigentliche Problem liegt jedoch in der Korpuszusammenstellung und dem Fehlen eines theoretischen Rahmens. Das Korpus umfasst je nach Bereich mehr oder weniger große Zeitspannen. Allerdings weist die Analyse keinerlei historische Tiefe aus. Es stellt sich daher die Frage, warum bei einer – wie die Autorin selbst betont – vor allem synchronen Untersuchungsperspektive nicht ein zeitlich kohärenteres aktuelles Korpus erstellt wurde. In diesem Fall hätte wohl ein Weniger an Titeleinträgen ein Mehr an methodischer Präzision bewirkt.

Eingangs kündigt die Autorin an, dass „titrologische Transferprozesse auf der Basis moderner translationswissenschaftlicher Theorien grundlegend untersucht und analysiert werden“ (S. 36). Allerdings erfolgt zu keinem Zeitpunkt eine theoretische Rahmung der Analyse. Es wird lediglich die Translationstypologie von Prunč herangezogen (ohne das korrelierende theoretische Konzept der Translationskultur, wie es Prunč (1997) entwickelt hat, zu nutzen). Diese Typologie stellt jedoch – wie bereits der Name sagt – für sich genommen keine Theorie, sondern lediglich eine Systematisierung der Übersetzungsstrategien dar. Da sich die Autorin sehr wohl bewusst ist, dass die Titelübersetzung – wie jede andere Übersetzung – „ein komplexes Geflecht unterschiedlicher Faktoren“ (S. 162f) textimmanenter und -externer Natur darstellt, erstaunt es, dass zur theoretischen Fundierung und damit systematischen Einbindung der übersetzungsrelevanten textexternen Faktoren keines der gängigen translationssoziologischen und kultursensitiven Theorieangebote genutzt wurde. In dem theoretischen Vakuum, in dem die Studie durchgeführt wird, erscheinen daher Aussagen zu den Prozessen und Gründen der Titelübersetzung letztlich impressionistisch und wenig fundiert.

Für an der Problematik der Titelübersetzung interessierte WissenschaftlerInnen stellt der Band zweifelsohne ein nützliches Überblickswerk dar und liefert auch ein interessantes Forschungsdesign für weitere Studien. Den Anspruch, die „Zusammenhänge des interkulturellen Transfers von Medien-Titeln umfassend zu erforschen“ (S. 15), löst das Buch aufgrund der genannten Defizite jedoch nicht ein.

Literatur

Bouchehri, R. (2008). Filmtitel im interkulturellen Transfer. Berlin: Frank and Timme.

Prunč, E. (1997). Translationskultur. (Versuch einer konstruktiven Kritik des translatorischen Handelns.). TextConText 11, 99-127.

17 octobre 2013
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