Benecke, Bernd (2014). Audiodeskription als partielle Translation. Modell und Methode. Berlin: LIT-Verlag
Book review by Nathalie Mälzer
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Bernd Benecke verfolgt mit seiner Dissertationsschrift Audiodeskription als partielle Translation. Modell und Methode das Ziel, die Praxis der Audiodeskription (AD) in Zukunft auf eine wissenschaftlich fundierte Grundlage zu stellen. Dazu schlägt er eine methodische Vorgehensweise vor, die jederzeit wiederholbar sein und der/m BeschreiberIn die Auswahlkriterien für die verbal wiederzugebenden Bildinformationen transparent und nachvollziehbar machen soll.
Bei der Entwicklung seiner Methode legt Benecke besonderen Wert darauf, dass die Frage nach dem Was stets verknüpft bleibt mit der nach dem Wozu, nach dem Wie und dem Wann. Hier spielt Benecke auf das von ihm so genannte „Audiodeskriptionsdilemma“ zwischen dem Ziel „so viele der vorhandenen optischen Informationen wie möglich“ in die Beschreibung aufzunehmen und dem, zumindest beim Hörfilm oder Hörtheater, beschränkten Raum für die Beschreibung an, die in die Lücken zwischen den Dialogen und anderen akustischen Informationen des Originalfilms eingepasst werden muss. Erst die Kombination dieser vier Fragen, die nach Beneckes Ansicht in der bisherigen Forschung zur AD vernachlässigt wurde, ermögliche es, eine Methode zu entwickeln, die der/m BeschreiberIn einen umfassenden Handlungsrahmen bietet.
Wie der Titel der Monographie bereits deutlich macht, bezieht sich Benecke methodisch und begrifflich auf translationswissenschaftliche Theorien, da er die AD als eine Form der Translation ansieht, auch wenn nur ein Teil des Ausgangstextes übersetzt wird, ein anderer Teil aber erhalten bleibt und zusammen mit dem Translat rezipiert wird.
Bei der Entwicklung seiner Methode und ihrer Vorführung anhand eines Beispiels konzentriert sich Benecke allerdings nur auf den Hörfilm und weitet ihre Anwendbarkeit nicht etwa, wie die Einleitung suggerieren könnte, allgemein auf die Technik der AD aus, die die von Benecke mehrfach erwähnten Formen wie das Hörtheater, die Höroper und das Hörmuseum hervorgebracht hat. Da sich die „widrigen Bedingungen“ (Zeit- und Raumbeschränkungen) der Translation bei diesen vier Formen stark unterscheiden und die semiotische sowie modale Verfasstheit eines Films anders geartet ist als bei einem Theaterstück, einer Oper oder einem Museumsexponat, lässt sich Beneckes Methode nicht ohne Weiteres auf AD-Techniken jenseits des Mediums Film übertragen. Wie seine herangezogenen Beispiele zeigen, liegt der Fokus dieser Monographie außerdem auf dem Spielfilm. Auch der Hinweis, dass eine AD „vor allem Informationen zur Handlung, zum Aussehen der Personen, zu deren Körpersprache und Gesichtsausdrücken sowie zu den Kostümen und Schauplätzen“ enthält, verdeutlicht, dass Beneckes Verfahren auf erzählende fiktionale Formate abzielt. Inwiefern seine Methode als Handlungsrahmen für unterschiedliche Genres gleichermaßen geeignet und auch auf Dokumentarfilme anwendbar ist, deren Audiodeskription vom Zielpublikum zunehmend gefordert und mittlerweile auch praktiziert wird, bleibt offen und wäre zu erproben.
Nach einem Rückblick auf die historische Entwicklung der Technik der AD in Deutschland und Europa und eine Darstellung der Herstellungsprozesse im Bereich Film mit einigen Abstechern zum Bereich Theater, Oper und Museum, gibt Benecke einen kurzen Überblick über die aktuelle Forschungslage. Sein anschließend vorgestelltes Verfahren erprobt und illustriert er anhand ausgewählter Szenen aus zwei (audiodeskribierten) Filmen, Sams in Gefahr (2003) und Das Leben der Anderen (2006).
Ausgangspunkt und Anlass für Beneckes Arbeit ist seine Kritik sowohl an den linguistisch geprägten Analysen existierender Hörfilme, wie sie von Fix (2005), Salway (2007) oder Piety (2004) unternommen wurden, als auch an der narratologisch ausgerichteten Forschung zur AD, wie sie u.a. von Remael und Vercauteren (2007) oder Braun (2007; 2008) vertreten wird. Ersteren wirft er vor, sich bei der Analyse ausschließlich auf die Betrachterperspektive zu konzentrieren, deskriptiv statt normativ vorzugehen und somit keine Handlungsanleitung für BeschreiberInnen bieten zu können. Des Weiteren vermisst Benecke die Einbettung dieser Analysen in translationswissenschaftliche Theorien. Narratologisch geprägte Untersuchungen hingegen würden wiederum die „widrigen Bedingungen“ bei der Erstellung eines Hörfilms nicht ausreichend berücksichtigen, der Frage nach der „content selection“ den Vorrang geben und die widrigen Bedingungen dabei ausblenden.
Seiner Kritik an beiden Tendenzen entsprechend grenzt sich Benecke begrifflich und methodisch von der bisherigen Forschung deutlich ab.
Den Arbeitsprozess zur Erstellung einer AD – vom Betrachten des Films durch den/die BeschreiberIn über das Verfassen eines schriftlichen Textes, der die optischen Informationen verbalisiert, bis zur Aufnahme des gesprochenen Textes und seiner Abmischung mit dem Originalton, also der Entstehung des eigentlichen Hörfilms – stellt Benecke anhand einer Abwandlung von Bühlers Organon-Modell dar. Warum es sich bei den einzelnen Schritten dieses Arbeitsprozesses zur Erstellung einer AD nach Benecke jeweils um eine Kommunikationssituation handelt, in die das Zielpublikum einbezogen wäre, erschließt sich dem Leser jedoch nicht. So lassen sich „Auteur“ (eine Art abstrakte Instanz des Filmemachers), „Beschreiber“ und „Sprecher“ sicherlich genauso wenig auf einer Ebene, der des Senders, ansiedeln wie „Erlebnis“, „Erlebnissimulation“ und „Erlebnispräsentation“ (anstelle von Gegenstände und Sachverhalte) oder Publikum und blindes/sehbehindertes Publikum (anstelle von Empfänger). Gerade weil es sich bei der Arbeit des/r Beschreibers/in um eine partielle Translation handelt, kann diese/r als Sender bestenfalls zum Auteur hinzu-, nicht aber an dessen Stelle treten.
Bei der Entwicklung seines Verfahrens wählt Benecke als theoretischen Bezugsrahmen Gerzymisch-Arbogast/Mudersbach Methoden des wissenschaftlichen Übersetzens (1998), deren Terminologie (die Methoden Holontra, Aspektra und Relatra, sowie die holistische, atomistische und hol-atomistische Perspektive) er im Wesentlichen übernimmt. Für die Anwendung der drei Perspektiven liefert Benecke zur Veranschaulichung einige Beispiele. Dazu wird der gesamte Film nach einzelnen Aspekten in Informationseinheiten zergliedert. Anschließend werden die Notwendigkeit und Möglichkeit der Wiedergabe der relevanten Informationseinheiten in jeder Szene mit Blick auf den gesamten Film systematisch geprüft. Die Aspektauswahl zu Beginn der Filmanalyse – das betont auch Benecke – ist sicherlich entscheidend für die Gestaltung der AD. An diesen Punkt lassen sich in Zukunft sicherlich interessante Forschungsfragen knüpfen, etwa den Vergleich der AD-Ergebnisse je nachdem, welchen Aspekten eingangs der Vorzug gegeben wurde, oder auch eine Kriterienentwicklung für die Auswahl der Aspekte selbst.
In letzter Konsequenz bietet sich dem Filmbeschreiber, falls dieser eine unverzichtbar erscheinende optische Information nicht im AD-Text unterbringen kann, die Möglichkeit, diese in eine Audioeinführung zu verlagern. Benecke erwähnt schon eingangs diese im Bereich Film jüngst entwickelte Textsorte, die in Großbritannien von Romero-Fresco und Fryer ins Leben gerufen und u.a. in Deutschland in Kooperation mit der Universität Hildesheim weiter erprobt wurde. Auch hier stellt sich die Frage, wie die ursprüngliche Aspektauswahl für die AD die Gestaltung der Audioeinführung beeinflusst.
Dass das von Benecke vorgeschlagene Verfahren – ein Modell, das dem/r FilmbeschreiberIn bei seinen Entscheidungen eine umfassende Handlungsgrundlage bietet – alle relevanten Aspekte bei der Erstellung einer AD zu berücksichtigen sucht und stets den gesamten Film im Auge hat, stellt ohne Frage die besondere wissenschaftliche Leistung der vorliegenden Monographie dar.
Die Lesbarkeit der methodischen Kapitel leidet ein wenig unter der teilweise ungewöhnlichen Terminologie und den zahlreichen daraus abgeleiteten, nicht immer eingängigen Abkürzungen (EBD für Erlebnisbild, ETX für Erlebnistext, ESP für Erlebnisspreche, ETN für Erlebniston), in denen sich manchmal auch der Verfasser zu verlieren scheint, wenn er etwa wiederholt von der „ADEM-Methode“ oder dem „ADEM-Kommunikationsmodell“ spricht und dabei offenbar vergisst, dass ADEM bereits für Audiodeskriptions-Entwicklungsmodell steht.
Auch vermisst man eine nähere Definition des Begriffs „erlebter Eindruck“, der den eingangs gesetzten, ebenfalls nicht definierten, da als umgangssprachlich empfundenen Begriff „Erlebnis“ präzisieren soll.
Der Aufwand für eine Hörfilm-Erstellung nach Beneckes Methode ist, wie Benecke selbst einräumt, ganz offensichtlich hoch. Daher stellt sich die Frage, ob sie dem eingangs gesetzten Ziel der Arbeit, dem Filmbeschreiber einen methodischen Handlungsrahmen zu bieten, letztlich gerecht wird. Angesichts der zeitlichen und somit wirtschaftlichen Zwänge bei der Produktion einer Audiodeskription kann man bezweifeln, dass Beneckes Methode in den „Alltag des Beschreibers“ Eingang finden wird. Es sei denn, sie wird, wie der Verfasser vorschlägt, in die Entwicklung einer Computersoftware münden, die den/die BeschreiberIn in seinem/ihrem Arbeitsprozess und Entscheidungen unterstützt. Bis dahin dürfte die Verwendung dieser Monographie vorwiegend in der Didaktik liegen.
Literaturverzeichnis
Braun, S. (2007). Audio description from a discourse perspective: A socially relevant framework for research and training. Linguistica Antverpiensa New Series, 6, 357-369.
Braun, S. (2008). Audio description research: State of the art and beyond. Translation Studies in the New Millenium, 6, 14-30.
Fix, U. (Hg.). (2005). Hörfilm. Bildkompensation durch Sprache. Berlin: Erich Schmidt.
Piety, P. (2004). The language system of audio description: An investigation as a discursive process. Journal of Visual Impairment and Blindness, 98(8), 453-469.
Remael, A. & Vercauteren, G. (2007). Audio describing the exposition phase of films: Teaching students what to choose. TRANS: Revista de Traductología, 11, 73-93.
Salway, A. (2007). A corpus-based analysis of the language of audio description. In: J. Díaz Cintas, P. Orero & A. Remael (Hg.), Media for all (S. 151-174). Amsterdam: Rodopi.
April 20, 201628(1) - 2016